Warren Buffett entdeckt die Stärken der Marke: Von See’s Candies bis Coca-Cola 1
In dieser zweiteiligen Serie bespreche ich den Werdegang von Warren Buffett und erkläre, wie er sich von einem reinem Value Investor zu einem Quality Investor entwickelte. Ein Quality Investor zeichnet sich dadurch aus, dass neben dem Preis als Investment Grundlage auch die qualitativen Eigenschaften eines Unternehmens in die Bewertung einfließen. Kein Investment hat diese Entwicklung so geprägt wie sein Investment in See’s Candies.
Im zweiten Teil blicken wir auf die wohl bekannteste Investition von Warren Buffett: Coca-Cola. Hätte Buffett im Jahr 1972 See’s Candies nicht gekauft, hätte er vermutlich auch nicht in Coca-Cola investiert. Deshalb müssen wir uns zunächst diesem Investment widmen, um seine darauffolgenden Investments zu verstehen. So lernen wir auch den »heutigen« Warren Buffet ein bisschen besser kennen.
Alles begann mit See’s Candies
Ursprünglich war Warren Buffett ein typischer Value Investor. Als Schüler von Ben Graham investierte Buffett ausschließlich in statistisch unterbewerte Unternehmen. Qualitative Merkmale, wie eine bekannte Marke oder große Kundenloyalität, wurden gänzlich außer Acht gelassen. Er investierte stattdessen in mittelmäßige Unternehmen, die zu einem absurd niedrigen Preis handelten.
All das änderte sich durch den Einfluss von Charlie Munger – Anwalt und Investor aus Omaha. Munger überzeugte Buffett von langfristigen Investments in ausgezeichnete Unternehmen. Im Jahr 1972 hatten sie gemeinsam die Möglichkeit See’s Candies, einen Pralinenhersteller aus Kalifornien, zu kaufen. Der Deal wäre beinahe nicht zustande gekommen, denn die Gründerfamilie verlangte $30 Millionen – Buffett war jedoch nicht bereit mehr als $25 Millionen zu bezahlen. Nach langwierigen Verhandlungen gab die Gründerfamilie nach und verkaufte See’s Candies für $25 Millionen an Warren Buffett. See’s Candies hatte unmittelbar vor dem Kaufzeitpunkt ein Eigenkapital von $8 Millionen. Bei einem Preis von $30 Millionen ergibt sich ein Preis/Buchwert Verhältnis von 3,75. Bis dahin investierte Buffett größtenteils in Unternehmen, die zu einem Preis/Buchwert Verhältnis von unter 1 handelten.
Blicken wir kurz auf die ökonomischen Gegebenheiten, die See’s Candies zum Zeitpunkt des Kaufs kennzeichneten. Der Umsatz erreichte $30 Millionen und der vorsteuerliche Gewinn lag bei $5 Millionen. Für die laufenden Geschäfte war ein Eigenkapital von $8 Millionen erforderlich. Dies entspricht einer Eigenkapitalrendite von unglaublichen 60 %.
Im Geschäftsjahr 1972 verkaufte See’s Candies 16 Millionen Pfund Pralinen, um den Umsatz von $30 Millionen zu generieren. Im Jahr 2014 verkaufte See’s Candies 31 Millionen Pfund Pralinen, dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von mickrigen 2 %. (Seit dem Jahr 2014 publiziert Berkshire Hathaway die Finanzkennzahlen von See’s Candies in ihren Geschäftsberichten nicht mehr gesondert)
Eine Steigerung der verkauften Menge von 2 % jährlich lässt mit Sicherheit keine Investoren-Herzen höher schlagen. Doch warum war dieses Investment trotzdem so erfolgreich?
See’s Candies „heute“
Schauen wir uns zunächst die finanziellen Kennzahlen von See’s Candies im Jahr 2014 an. Der Umsatz lag bei $383 Millionen und der vorsteuerliche Gewinn bei $82 Millionen. Dafür war lediglich ein Eigenkapital von $40 Millionen notwendig. Das bedeutet, dass See’s Candies zwischen 1972 und 2014 nur $32 Millionen in das Unternehmen reinvestieren musste, um das Wachstum zu generieren. Der kumulierte Vorsteuergewinn lag zwischen 1972 und 2014 bei $1.35 Milliarden. Den gesamten Betrag abzüglich der $32 Millionen konnte Warren Buffett für neue Investments verwenden.
Um das Ganze zusammenzufassen: Der ursprüngliche Kaufpreis von $25 Millionen plus die Investition von $32 Millionen in das Eigenkapital haben bis zum Jahr 2014 einen vorsteuerlichen Gewinn von $1.35 Milliarden erzielt.
Wie war so ein phänomenales Ergebnis möglich, wenngleich die verkaufte Menge im selben Zeitraum lediglich um 2 % anstieg?
Hierzu müssen wir eine simple Frage beantworten: Woraus setzt sich der Umsatz eines Unternehmens zusammen? Der Umsatz ergibt sich aus der verkauften Stückzahl multipliziert mit dem Preis pro Produkt. Wie bereits erläutert, lag die Wachstumsrate der verkauften Menge bei 2 % jährlich. Wäre der Preis in dem Zeitraum stabil geblieben, würde der Umsatz heute bei circa $69 Millionen liegen und nicht bei den tatsächlichen $383 Millionen. Das bedeutet, dass die Differenz von $314 Millionen über Preissteigerungen erzielt werden musste.
Tatsächlich ist genau das der Fall, denn jedes Jahr am 26. Dezember erhöht See’s Candies die Produktpreise. Warum nun ausgerechnet der 26. Dezember? In der Weihnachtszeit generiert See’s Candies circa 90 % des gesamten Jahresumsatzes. Generell werden Preiserhöhungen von Kunden eher negativ bewertet. So haben treue See’s Candies-Kunden fast ein Jahr Zeit, um sich an die neuen Preise zu gewöhnen.
Die nächste Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Wenn es so einfach ist, wieso erhöht nicht jedes Unternehmen die Preise jährlich und erreicht so bei einer mindestens konstanten Menge ein Umsatzwachstum?
Was bedeutet Preismacht?
Ein Unternehmen kann Preise nur kontinuierlich steigern ohne dabei einen Mengenverlust zu erfahren, wenn es mindestens eines der folgenden Merkmale aufweist:
(Quasi-)Monopol (Union Pacific, Fraport)
Lock-in-Effekt (Pratt & Whitney, Gillette)
Differenziertes Produkt mit hoher Kundeloyalität (Coca-Cola, Walt Disney)
Luxusgut (Tiffany, Hermés)
In unserem Fall handelt es sich um ein differenziertes Produkt mit hoher Kundenloyalität. Ein weiterer wichtiger Faktor innerhalb dieser Kategorie ist, dass das Produkt eine höhere Qualität aufweist als das der Konkurrenz. Dabei ist es meist unerheblich, ob das Produkt tatsächlich qualitativ hochwertiger ist oder nur so wahrgenommen wird. Diese qualitativen Eigenschaften sind häufig schwer zu definieren und noch schwieriger zu quantifizieren.
Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an, um diesen Punkt zu verdeutlichen. Tiffany ist ein sehr alter und weltweit bekannter Juwelier. Das Unternehmen hat etwas nostalgisches, der Store auf der Fifth Avenue in New York ist DAS profitabelste Geschäft der Welt, das Tiffany blau ist eine eingetragene Farbe und Tiffany ist Namensgeber für den Filmklassiker Frühstück bei Tiffany. Zudem hat Tiffany einst den Verlobungsring erfunden. (Fast) jede Frau auf dieser Welt träumt davon, von ihrem Geliebten einen solchen Ring in der klassischen blauen Box zu erhalten.
Für einen Mann ist „Willst du mich heiraten?“ die wohl wichtigste Frage, die er in seinem Leben stellen wird. Er wird alles Mögliche für ein „Ja“ tun. Dementsprechend ist er bereit ein paar Hundert Euro mehr auszugeben, um seine Chance auf ein “Ja“ zu maximieren. Allgemein lässt sich sagen, dass Menschen Verlobungsringe nicht wie Socken kaufen. Hier ist der Preis nicht das entscheidende Kriterium für die Kaufentscheidung – qualitative und emotionale Eigenschaften haben Vorrang.
All diese Merkmale haben einen Wert, der jedoch nicht zu quantifizieren ist. Jeder Investor muss die Situation subjektiv bewerten, um einschätzen zu können, wie stark die Marke ist und wie stark und nachhaltig dementsprechend die Preismacht ist. Um es in den Worten von Richter Potter Stewart zu sagen: „I can't define it, but I know it when I see it.''
Über See’s Candies sagte Warren Buffett folgendes:
“When you were a 16-year-old, you took a box of candy on your first date with a girl and gave it either to her parents or to her. In California the girls slap you when you bring Russell Stover, and kiss you when you bring See’s.”
See’s Candies hat in Kalifornien eine ähnliche Wirkung wie Tiffany. Eine Box mit Pralinen von See’s kann den Unterschied zwischen dem ersten Kuss und dem ersten Liebeskummer ausmachen. Ich will damit nicht sagen, dass jeder, der hochwertige Pralinen auf ein Date mitbringt, geküsst wird oder dass man ohne Pralinen gar nicht erst auftauchen sollte. Aber es kann eben einen feinen Unterschied machen. Und exakt aus diesem Grund hat See’s Candies die Möglichkeit, jedes Jahr die Preise um ein paar Prozente anzuheben – ohne dabei treue Kunden zu verlieren.
Fazit
Durch das Investment in See’s Candies erkannte Warren Buffett die Attraktivität von Konsumunternehmen, die nicht haltbare Produkte (wenn es konsumiert wurde, muss man es neu kaufen) mit einer großen Markenbekanntheit und hohen Kundeloyalität herstellen. Er erkannte, dass diese Markenstärke in fortwährend steigende Preise umgemünzt werden kann. Außerdem stellte er fest, dass man Value auch in qualitativen Merkmalen finden kann, obwohl dieser Wert häufig nicht zu quantifizieren ist und nur grob geschätzt werden kann.
Warren Buffett gelang es nach eigener Aussage „selbst nach 50 Versuchen“ nicht, See’s Candies über die Grenzen von Kalifornien hinaus beliebt zu machen. So begann Warren Buffett nach Unternehmen zu suchen, deren Produkte einwandfrei über Landes- und Kulturgrenzen „reisten“. Diese Suche führte ihn letztendlich zu Coca-Cola® – seinem wohl größten Investment.