Die unglaubliche Kraft des Zinseszinseffekt

“Compound interest is the eighth wonder of the world. He who understands it, earns it. He who doesn't, pays it.” – Albert Einstein

Die meisten Investoren sind der Überzeugung exponentielles Wachstum und somit den Zinseszinseffekt bestens zu verstehen. Das Konzept hinter dem Zinseszinseffekt ist einleuchtend. Ein Investment, das zu einem attraktiven Zinssatz getätigt wird, wird über einen langen Zeitraum exponentiell anwachsen. Der Zinseszinseffekt ist eines dieser Konzepte, die wir im Grundsatz verstehen, das Ausmaß dieser simplen Theorie ist für uns jedoch häufig unbegreiflich. Blicken wir hierzu auf eine wahre Geschichte, die am Ende zwei Überraschungen bereithält.

Thomas Austin, ein leidenschaftlicher Hobbyjäger, brachte im Jahr 1859 auf der Rückkehr seiner Reise nach England 24 Hasen in seine Heimat Winchelsea, Australien mit. Die Hasen hatten dort kaum natürliche Feinde und reichlich Nahrung. Sie konnten sich folglich gut fortpflanzen. Nach zehn Jahren lebten circa 500 Hasen in Winchelsea. Nach 20 Jahren waren es bereits circa 10.000 Hasen. Für die Bewohner von Winchelsea hat sich nicht viel verändert. Den Meisten wird das Hasenwachstum nicht einmal aufgefallen sein. Spulen wir nun 46 Jahre weiter vor, in das Jahr 1925. Inzwischen hatten sich über 10.000.000.000 (10 Milliarden) Hasen in ganz Australien ausgebreitet. Es lebten doppelt so viele Hasen in Australien wie Menschen. Dafür hat es „lediglich“ eine jährliche Wachstumsrate von 53,95 % benötigt. Bis heute, im Jahr 2024, bekämpft Australien die scheinbar unüberwindbare Hasenplage. Es soll noch einmal einer sagen, dass kleine Taten nicht viel verändern können.

Die erste Überraschung ist offensichtlich. Der Zinseszinseffekt kann bei kontinuierlichem Wachstum am Ende des Betrachtungszeitraums zu unvorstellbaren Ergebnissen führen. Die zweite Überraschung ist subtiler, jedoch für Investoren mindestens genauso wichtig. In den frühen Perioden ist der Zinses-Zins-Effekt kaum spürbar. In den ersten 20 Jahren wuchs die Hasenbevölkerung um 9.976 Hasen an. Im Vergleich dazu, ist die Anzahl allein im letzten Jahr um unglaubliche 3,5 Milliarden angestiegen.  Hier liegt die Crux für Investoren. Aufgrund des moderaten Wachstums zu Beginn einer Investition verkaufen viele Anleger ihre Aktien zu früh ohne den Zinseszinseffekt maximal auszuschöpfen.

Der Zinseszinseffekt in der Praxis

Wir investieren (leider) nicht in Hasen, sondern in Unternehmen. Im Gegensatz zu Hasen haben Unternehmen natürliche Feinde und müssen um „Nahrung“ wettstreiten. Die Voraussetzung, dass sich ein Unternehmen zumindest hasenähnlich entwickeln kann, lässt sich auf vier Bausteine herunterbrechen:

1.     Nachhaltiges und langfristiges Umsatzwachstum

Viele Investoren leben in dem Irrglauben, dass rasante Wachstumsraten, beflügelt von revolutionären Produkten, notwendig sind, um hohe Renditen zu erzielen. Jedoch zieht spektakuläres Wachstum Konkurrenten an. Die meisten Produkte und Dienstleistungen sind imitierbar. Rasantes Wachstum ist in diesem Sinne sein eigener Feind. Die Liste der gefallenen Engel ist ellenlang. Unternehmen wie Peloton, Go Pro oder WeWork sind heute nur noch Schatten ihrer vergangenern Tage. Unternehmen mit einem langfristigen Wettbewerbsvorteil, die in ihrer Nische nachhaltig und stetig wachsen können, stellen den ersten Baustein der Zinses-Zins Strategie dar.

2.     Skalierbare Kostenstruktur

Eine skalierbare Kostenstruktur zeichnet sich dadurch aus, dass der Umsatz überproportional zu den variablen Kosten erhöht werden kann. Eine nachhaltige Preissetzungsmacht oder Skaleneffekte der variablen Kosten sind häufig Voraussetzung für eine skalierbare Kostenstruktur. Preissetzungsmacht ist gegeben, wenn ein Unternehmen etablierte oder neue Produkte zu höheren Preisen anbieten kann ohne das die Nachfrage entsprechend zurückgeht Ein exzellentes Beispiel hierfür ist das französische Luxus-Unternehmen Hermès. Hermès, bekannt für die Birkin Bags, die bis zu 2 Millionen Euro kosten können, hat die Preise in den letzten 10 Jahren kontinuierlich erhöht. Die Bruttomarge ist in diesem Zeitabschnitt von 66,84 % auf 72,29 % angewachsen. Die Preiserhöhungen haben dem Umsatzwachstum keinen Abbruch getan. Der Umsatz hat sich seit 2014 mehr als verdreifacht.

Skaleneffekte treten auf, wenn ein Unternehmen eine kritische Größe erreicht hat und bestimmte variable Kosten nicht mehr proportional zum Umsatz steigen. Dies kann je nach Unternehmen auf die Einkaufs-, Produktions-, Marketing- oder Vertriebskosten zutreffen. Der Umsatz von Nike ist in den vergangenen 10 Jahren um 84 % gestiegen, während sich die Ausgaben für Marketing nur um 34 % erhöht haben. Gemessen am Umsatz ist der Anteil der Marketingkosten am Umsatz von 10,90 % auf 7,93 % zurückgegangen. Dementsprechend kann jeder zusätzliche Euro, der eingenommen wird, mit weniger Marketingkosten generiert werden.

3.     Kapitalleichtes Geschäftsmodell 

Kapitalleichte Geschäftsmodelle zeichnen sich dadurch aus, dass verhältnismäßig wenig in das Anlagevermögen investiert werden muss, um Umsatzwachstum zu erzielen. Häufig liegen die großen Investitionen in der Vergangenheit und das Unternehmen profitiert von sogenannten Netzwerkeffekten. Da das Anlagevermögen relativ fix ist, liegen die Abschreibungskosten häufig über den Investitionskosten für längerfristige Anlagegüter (depreciation > capital expenditures). In diesem Fall generiert das Unternehmen einen hohen freien Cash Flow, der wiederum für den Schuldenabbau, Aktienrückkäufe, Zukäufe oder Dividendenausschüttungen genutzt werden kann.

Der Zahlungsdienstleister VISA bietet eine Plattform, um elektronische Zahlungen abzuwickeln. Ob nun eine einzelne Zahlung und mehrere Millionen Zahlungen täglich über das Netzwerk laufen, hat nur einen minimalen Einfluss auf die Kosten für VISA. Jede zusätzliche Zahlung, die über das VISA Netzwerk abgeschlossen wird, ist quasi reiner Profit für das Unternehmen. Die Gesamtkapitalrendite von VISA ist seit dem Jahr 2014 von 14,55 % auf 20,53 % gestiegen.

Im Gegensatz dazu müssen kapitalintensive Unternehmen den Großteil ihres Gewinns in materielle Vermögenswerte reinvestieren, um wachsen zu können. Beispielsweise muss ein Automobilhersteller, der beabsichtigt seinen Umsatz in den kommenden 10 Jahren zu verzweifachen, ebenso die Anzahl der Fabriken, Maschinen, Lagerräume verdoppeln. Nach 10 Jahren wird circa doppelt so viel Kapital im Unternehmen gebunden sein wie zu Anfang. Dieses Kapital steht dementsprechend nicht für wertschöpfende Maßnahmen zur Verfügung.

4.     Attraktive Einstiegsbewertung

Voraussetzung für jede intelligente Investment-Entscheidung sollte eine attraktive Bewertung sein. Ein Unternehmen mit exzellenten Aussichten kann eine unbefriedigende Investition darstellen, wenn es zu einem unvernünftigen Preis erworben wird. Zwischen den Jahren 1999 und 2016 hat sich der Gewinn pro Aktie von Microsoft verdoppelt – von $ 1,42 auf $ 2,85. Im selben Zeitraum ist die Aktie auf der Stelle getreten und verharrte 2016 unter dem Preis von 1999 Die zukünftige Geschäftsentwicklung im Jahr 1999 war in der Bewertung scheinbar bereits eingepreist.

Im nächsten Artikel blicken wir auf das Unternehmen AutoZone. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren den Rückenwind aller vier Bausteine nutzen können. Der Zinseszinseffekt konnte sich so optimal entfalten und die Aktie ist auf 10-Jahresbasis um durchschnittlich 17,84 % gestiegen.

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Der unrealistische Optimismus des Investors

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