Der Investor und die selbstwertdienliche Verzerrung
Ein Zungenbrecher, der uns auch im Alltag stolpern lässt
Die selbstwertdienliche Verzerrung (engl. self-serving bias) beschreibt die menschliche Tendenz, Erfolge den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben, während Misserfolge auf äußere Umstände wie Pech oder unkontrollierbare Faktoren geschoben werden. Dieses Verhalten ist zutiefst menschlich: Es hilft uns, unser Selbstbild zu stärken und unsere soziale Anerkennung zu wahren.
Diese Verzerrung begegnet uns in vielen Lebensbereichen, sei es in der Schule, im Sport oder im Beruf. Selbst wenn es nicht um unsere eigenen Fähigkeiten geht, unterliegen wir ihr häufig unbewusst. Oder wer hat nicht schon einmal behauptet, dass die eigene Lieblingsfußballmannschaft nur wegen einer schlechten Schiedsrichterleistung verloren hat?
Nicht nur Privatpersonen sind betroffen
Nicht nur Otto-Normalverbraucher unterliegt der selbstwertdienlichen Verzerrung – auch Manager großer Unternehmen, deren Selbstbewusstsein oft ausgeprägt ist, sind davor nicht gefeit. Ein besonders gutes Beispiel findet sich in den Geschäftsberichten von Unternehmen. Wer schon einmal die Briefe an die Aktionäre studiert hat, kennt das Muster:
Erfolge werden strategischen Meisterleistungen und visionärem Denken zugeschrieben.
Misserfolge hingegen werden auf externe Faktoren wie Konjunkturschwäche, politische Unsicherheiten oder gar das Wetter (blame-the-weather game) geschoben.
Obwohl diese Denkweise unser Selbstwertgefühl schützt, hat sie eine entscheidende Schattenseite: Wer Fehler nicht anerkennt, lernt nicht aus ihnen – und macht sie immer wieder. Während dies im Alltag oft folgenlos bleibt, kann es für Investoren schwerwiegende finanzielle Konsequenzen haben.
Der Investor und die selbstwertdienliche Verzerrung
Für Investoren bedeutet die selbstwertdienliche Verzerrung, dass sie erfolgreiche Investments ihren eigenen Fähigkeiten, Strategien oder ihrer Intelligenz zuschreiben. Verluste hingegen werden als Folge unkontrollierbarer und unvorhersehbarer Ereignisse interpretiert.
Wissenschaftlicher Beweis für die Verzerrung
Ein Experiment aus den Jahren 2008 untersuchte dieses Phänomen empirisch. Zwischen April und Juni 2008 wurden 20.000 Kunden eines niederländischen Brokers nach ihren Handelserfolgen befragt. Jeden Monat sollten sie einschätzen, inwieweit folgende Aussage auf sie zutrifft:
"Mein vergangener Investment-Erfolg basiert auf meinen eigenen Fähigkeiten."
Die Antworten wurden auf einer Skala von 1 (überhaupt nicht einverstanden) bis 7 (stimme voll zu) bewertet. Die Ergebnisse waren eindeutig:
Je höher die Renditen, desto eher schrieben Investoren ihren Erfolg den eigenen Fähigkeiten zu.
Bei negativen Renditen fiel die Zustimmung hingegen deutlich geringer aus.
Risiken der selbstwertdienlichen Verzerrung für Investoren
Diese Denkweise birgt zwei große Gefahren für Investoren:
1. Zu häufiges Handeln
Eine Konsequenz der Verzerrung ist die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Wer seine vergangenen Gewinne als Beweis für überlegenes Investmentgeschick sieht, tendiert dazu, zu häufig zu handeln. Dies hat gleich mehrere Nachteile:
Steigende Transaktionskosten: Jede Order verursacht Gebühren, die langfristig die Rendite belasten.
Höhere Steuerlast: Gewinne aus kurzfristigen Investments müssen oft höher versteuert werden.
Emotionale Fehlentscheidungen: Wer sich für unfehlbar hält, könnte riskantere oder unüberlegte Entscheidungen treffen.
2. Fehlende Diversifikation
Ein weiteres Problem ist die Neigung zur Unterdiversifikation. Viele Investoren konzentrieren sich zu stark auf wenige Aktien, weil sie von ihren eigenen Fähigkeiten überzeugt sind. Dabei gilt: Selbst die besten Investoren irren sich.
Während eine fokussierte Strategie für erfahrene Anleger sinnvoll sein kann, sollten sich vor allem Einsteiger diversifizieren. Eine breite Streuung hilft dabei, Risiken zu minimieren und sich langsam an eine eigene Strategie heranzutasten.
Fazit: Bewusstsein schafft besseren Erfolg
Die selbstwertdienliche Verzerrung ist eine tückische Falle, die Investoren in eine trügerische Sicherheit wiegt. Wer sich seiner eigenen Denkfehler bewusst ist, kann jedoch bewusst gegensteuern. Die wichtigsten Lektionen lauten:
Gewinne nicht als Beweis für unfehlbare Fähigkeiten sehen.
Verluste als Lernchance begreifen, statt sie auf Pech zu schieben.
Langfristige Strategien entwickeln und nicht durch übermäßigen Aktionismus Rendite einbüßen.
Diversifikation nutzen, um Risiken zu streuen und Fehler abzufedern.
Letztlich gilt: Ein erfolgreicher Investor ist nicht derjenige, der nie Fehler macht – sondern derjenige, der aus ihnen lernt.